15. Februar 2009

Hochkonjunktur für Iraks Totengräber

Bagdad – Wer im Irak auf einem Friedhof arbeitet, braucht sich in dem konflikt-reichen Land keine Sorgen zu machen, dass ihm trotz hoher Arbeitslosigkeit der Job ausgehen könnte. Wärter und Totengräber haben alle Hände voll zu tun, um die Bürgerkriegsopfer unter die Erde zu bringen und ihre Identität festzuhalten.

Da die Behörden mit der Erfassung der Todesfälle überfordert sind, bemühen sich Totengräber wie Ali die Namen der Opfer aufzuschreiben, die es zu bestatten gilt. Ali arbeitet auf Bagdads größtem Friedhof im Viertel Abu Ghraib. "Eineinhalb Jahre lang, von 2006 bis weit in das Jahr 2007 hinein, wurden uns täglich 40 bis 50 Tote gebracht", berichtet er.

Nur wenige dieser Menschen seien erkennbar eines natürlichen Todes gestorben. "Rund zwei Drittel fielen durch die Hand der schiitischen Mehdi-Armee des Predigers Muqtada Al-Sadr. Bei weiteren 25 Prozent handelte es sich um sonstige Opfer von Gewalt", sagt Ali. "Niemand hat damals die Identität der Toten festgestellt. Auch wir fragten nicht nach dem Totenschein, sondern bemühten uns, die Leichen möglichst schnell zu beerdigen",

Militärposten vor dem Friedhof

Seit einem Jahr wird der Zugang zum größten Begräbnisplatz der irakischen Hauptstadt, der ständig erweitert wird, von einem Kontrollposten der irakischen Armee bewacht. "Vor allem 2006 kamen die Leute einfach hierher und begruben ihre Toten. Niemand wusste Bescheid", so der Totengräber.

Nicht weit entfernt, im Stadtbezirk Al-Adhamiya, gibt es in einem ehemaligen Park einen Friedhof mit mehr als 5.000 Gräbern. Nach Angaben des Friedhofsverwalters Abu Ayad Masir Walid ist die genaue Zahl der Toten, die hier bestattet wurden, unbekannt. Der 45-Jährige arbeitet seit Anfang 2006 hier, als sich Anhänger verschiedener islamischer Gruppen blutige Kämpfe lieferten und den Park in einen Totenacker verwandelten.

"Der erste Märtyrer, der hier begraben wurde, war Gaith Al-Samarai, der Vorsitzende der Al-Hurria-Moschee", berichtet Walid und weist auf einen Grabstein. "Bis zum heutigen Tag wurden auf dem Gelände genau 5.500 Tote begraben", sagt er und blättert in einem Notizblock. "Hier habe ich sämtliche Namen notiert, doch bislang haben sich weder die Vertreter der Medien noch Regie-rungsbeamten nach der Zahl der hier bestatteten Toten erkundigt. Nicht einmal das Gesundheitsmi-nisterium scheint sich dafür zu interessieren."

Angesichts des offiziellen Desinteresses an den Friedhöfen im Land sind Angaben über die Zahl der Todesopfer, die der Irakkrieg gefordert hat, fragwürdig. Die letzte seriöse Untersuchung stammt von irakischen und US-amerikanischen Ärzten und wurde in der britischen Fachzeitschrift 'The Lancet' am 11. Oktober 2006 veröffentlicht. >

Hoher Blutzoll des Krieges

Im Auftrag der 'Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health' im US-amerikanischen Balti-more hatten sich die Mediziner in 47 Gruppen aufgeteilt und landesweit Familien befragt und To-tenscheine inspiziert. Ihren Ermittlungen zufolge, die von vier unabhängigen Experten bestätigt wurden, hatten Invasion und Besetzung des Iraks rund 655.000 Iraker oder 2,5 Prozent der Bevölkerung das Leben gekostet.

Die Organisation 'Iraq Body Count' (IBC) hält die Zahl der zivilen Kriegsopfer im gleichen Zeit-raum für wesentlich niedriger und spricht von 98.850 Toten. IBC ist dabei, auf einer unabhängigen Datenbank alle Zivilisten erfassen, die durch Militäreinsätze der US-Armee und deren Verbündeten zu Tode kamen. Dabei werden Angaben von kommerziellen Medien und Nichtregierungsorganisa-tionen ebenso berücksichtigt wie Daten von amtlichen Stellen, Hospitälern und Leichenschauhäu-sern.

Unterdessen setzen die Männer, die auf den nicht offiziellen Friedhöfen im Land die Toten begra-ben, ihre eigene Buchführung des Todes fort. Ihre Zahlen kennt bislang niemand. - Beriacht von Dahr Jamail | Deutsche Bearbeitung: Grit Moskau-Porsch (09.02.2009) | (c) Copyright IPS Europa gGmbH

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