19. Februar 2009

Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung und Partner setzen 70 Millionen Euro zur Steigerung der Einkünfte von Kleinbauern in Afrika ein

Privatindustrie bündelt Anstrengungen zur Unterstützung Hundertausender Kakao- und Cashewbauern durch verbesserte Ausbildung und Marktzugang

Eschborn/Seattle - Die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung geht zwei bedeutende Partnerschaften ein und stellt dafür rund 37 Millionen Euro bereit: Hundertausende von kleinen Kakao- und Cashewbauern in Subsahara-Afrika werden unterstützt, damit sie nicht länger in Hunger und Armut leben müssen. Die beiden Zuwendungen, rund 18 Millionen Euro an die Weltkakaostiftung und annähernd 20 Millionen Euro an die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, werden durch mehr als 32 Millionen Euro der Privatindustrie an Barmitteln und Sachspenden ergänzt.

Millionen von Kleinbauern in Subsahara-Afrika leben vom Anbau von Kakao und Cashewnüssen. Jedoch betreiben sie auf ihren Feldern weitgehend Subsistenzwirtschaft. Die beiden Vorhaben helfen Bauern, ihre Erntequalität und -menge zu steigern. Auch verschaffen die Projete ihnen verlässliche Abnehmer ihrer Ernten.

Die Zuwendungen sind Teil der landwirtschaftlichen Entwicklungsinitiative der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die mit einem breiten Spektrum von Partnern in Subsahara-Afrika und Südasien zusammenarbeitet. Die Arbeit bezieht die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette ein, von Saatgut und Boden über Farmmanagement bis hin zum Marktzugang. So sollen Hunger und Armut nachhaltig bekämpft werden.

Finanzielle Unterstützung und Sachspenden des privaten Sektors, von Nichtregierungsorganisationen und Kommunen ergänzen den Beitrag der Stiftung. Bei Schulungen und Trainings spielen landwirtschaftliche Genossenschaften eine gewichtige Rolle.

"Spürbarer Fortschritt im Kampf gegen Hunger und Armut in der Welt beginnt bei den Kleinbauern", sagt Dr. Rajiv Shah, Bereichsleiter für landwirtschaftliche Entwicklung der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung. "Kreative Partnerschaften wie diese verbinden das Wissen vor Ort tätiger Entwicklungsorganisationen und Verwaltungen mit dem technischen Know-how und der Marktkompetenz von Unternehmen des privaten Sektors. Solche Partnerschaften haben das Potenzial, Millionen von Bauern dabei zu helfen, ihre Erträge und Einkünfte zu steigern - und damit ihr Leben zu verbessern."

Kakao ist Westafrikas wichtigstes landwirtschaftliches Exportgut und deckt 70 Prozent des weltweiten Bedarfs. Für ungefähr zwei Millionen westafrikanische kleinbäuerliche Betriebe ist die Kakaoproduktion eine wesentliche Quelle ihrer Einkünfte. Unter der Leitung der Weltkakaostiftung arbeiten an dem Kakaoprojekt eine Reihe von Nichtregierungsorganisationen und weitere Partner wie ACDI/VOCA, GTZ, das Internationale Institut für tropische Landwirtschaft (IITA)/Programm für nachhaltige Baumfruchtwirtschaft (STCP), SOCODEVI und TechnoServe.

Das Kakaoprojekt steigert die Einkünfte der Bauern durch landwirtschaftliche Aus- und Weiterbildung und damit höherer Produktivität, durch bessere Rohstoffqualität, Fruchtwechsel und erhöhte Effizienz der Lieferkette. Das auf fünf Jahre angelegte Projekt erreicht rund 200.000 kleinbäuerliche Kakaobetriebe in Kamerun, Côte d'Ivoire, Ghana, Liberia und Nigeria und hilft den Bauern, ihre Einkünfte bis 2013 zu verdoppeln. Das Projekt ergänzt die breiter angelegte Tätigkeit der Weltkakaostiftung, die mit ihren Branchenmitgliedern daran arbeitet, dass die Bauern den Kakaoanbau nachhaltig betreiben und größeren Nutzen daraus ziehen.

Finanzielle Unterstützung und Sachspenden für das Kakaoprojekt kommen von den großen Markenherstellern The Hershey Company, Kraft Foods und Mars Incorporated, den Kakaoverarbeitern Archer Daniels Midland Company, Barry Callebaut, Blommer Chocolate Company und Cargill, den Lieferkettenmanagern und von verwandten Branchen wie Armajaro, Ecom-Agrocacao, Olam International Ltd. sowie der Starbucks Coffee Company.

"Kakao hat das Potenzial, spürbare Verbesserungen beim Einkommen wie auch beim Wohlstand von Familien und Gemeinden im ländlichen West- und Zentralafrika zu bringen", sagt Bill Guyton, Präsident der Weltkakaostiftung. "Dieses Versprechen wahrzumachen, erfordert jedoch anhaltende und innovative Investitionen in die Bildung der Bauern, eine Diversifizierung der Früchte, die sie anbauen, eine Steigerung ihrer Vermarktungseffizienz sowie das stärkere Einbeziehen der beteiligten Unternehmen. Die neue Partnerschaft mit der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung bedeutet einen großen Fortschritt in diesen Bereichen und öffnet die Tür für eine sehr viel erfreulichere Zukunft für Hundertausende bäuerliche Familien", so Guyton.

Afrika erbringt ungefähr ein Drittel der weltweiten Cashewernte. Jedoch bringen fehlende Einrichtungen zur Weiterverarbeitung der Nüsse vor Ort die Afrikaner um den wirtschaftlichen Nutzen, den Arbeitsplätze im verarbeitenden Sektor bringen könnten.

Das Cashewprojekt steigert die Qualität des Anbaus und die Produktivität der Bauern. Zudem schafft es neue Verbindungen zwischen den bäuerlichen Kleinbetrieben und dem Markt. Das Vorhaben wird afrikanische Verarbeitungskapazitäten aufbauen und einen nachhaltigen weltweiten Markt für afrikanische Cashewnüsse entwickeln. Rund 150.000 kleinbäuerliche Cashewbetriebe in Benin, Burkina Faso, Côte d'Ivoire, Ghana und Mozambique können so ihre Einkünfte bis 2012 um rund 50 Prozent steigern.

"Dieses Projekt wird dazu beitragen, starke Gruppen von Cashewbauern zu bilden, die mit Hilfe des privaten Sektors mit Fabriken in Afrika zusammenarbeiten können", sagte Winfred Osei Owusu, Geschäftsführer von West Africa Markets Link in Ghana. "Dadurch entstehen Arbeitsplätze vor Ort sowie zusätzliche Einkünfte für die Menschen in unserem Land, die es am nötigsten brauchen."

Die GTZ wird das Cashewprojekt mit Unterstützung der Afrikanischen Cashew-Allianz (ACA), FairMatch Support und TechnoServe leiten. Finanzielle Unterstützung, Sachspenden und sonstige Leistungen kommen von den Lieferkettenmanagern und Verarbeitern Global Trading Agency BV (GTA) und Olam International Ltd., den Markenherstellern Intersnack Group GmbH & Co. KG und Kraft Foods, dem Einzelhändler Costco Wholesale Corporation, dem Anlagenhersteller Oltremare sowie anderen Spendern, der DEG - Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH sowie US-amerikanischen Entwicklungsorganisation USAID.

Über die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung

Geleitet von der Überzeugung, dass jedes Leben gleichermaßen wertvoll ist, bemüht sich die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung darum, allen Menschen dabei zu helfen, ein gesundes und produktives Leben zu führen. In Entwicklungsländern konzentriert sie sich darauf, die Gesundheit der Menschen zu verbessern und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich selbst von Hunger und extremer Armut zu befreien. In den Vereinigten Staaten versucht sie sicherzustellen, dass alle Menschen, insbesondere diejenigen mit den geringsten Mitteln, Zugang zu den Möglichkeiten haben, die sie für Erfolg in Schule und Leben benötigen. Die Stiftung mit Sitz in Seattle wird geleitet vom Geschäftsführer Jeff Raikes und dem Co-Vorsitzenden William H. Gates senior unter Weisung von Bill und Melinda Gates sowie Warren Buffett. Weitere Informationen über die Stiftung unter www.gatesfoundation.org.

Über die Weltkakaostiftung

Die Weltkakaostiftung wurde 2000 gegründet und ist führend bei der Förderung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und der ökologischen Verantwortung in 15 Kakao produzierenden Ländern in der ganzen Welt. Mit annähernd 70 Mitgliedsunternehmen vom amerikanischen Kontinent, aus Europa und Asien unterstützt die Stiftung aktiv eine Reihe von Programmen auf der Ebene bäuerlicher Betriebe, die nachhaltige landwirtschaftliche Verfahren nutzen, um die Lebensqualität von Millionen von Kleinbauern zu verbessern, die diese einzigartige Frucht anbauen. Weitere Informationen über die Weltkakaostiftung unter www.worldcocoafoundation.org.

Über die GTZ

Als weltweit tätiges Bundesunternehmen der internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Entwicklung unterstützt die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH die Bundesregierung bei der Verwirklichung ihrer entwicklungspolitischen Ziele. Sie bietet zukunftsfähige Lösungen für politische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklungen in einer globalisierten Welt und fördert komplexe Reformen und Veränderungsprozesse auch unter schwierigen Bedingungen. Ihr Ziel ist es, die Lebensbedingungen der Menschen nachhaltig zu verbessern. (19.02.2009)

15. Februar 2009

INDIEN: Erster Bericht zur städtischen Armut – Über 80 Millionen Menschen betroffen

Indien hat mit Unterstützung des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) einen ersten Bericht zur Armut in den Städten erstellt. Dem Report zufolge leben in dem südasiati-schen Staat derzeit über 80 Millionen Städter in Armut. Das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Ägyptens. Betroffen sind in Indien mehr als 25 Prozent der städtischen Bevölkerung von rund 286 Millionen Menschen, vor allem Slumbewohner und Obdachlose.

"Das Tempo der Urbanisierung in Indien nimmt zu, und mit ihm wächst die städtische Armut, ob-wohl 62 Prozent des indischen Bruttoinlandsprodukts in den Städten generiert wird", sagte die indi-sche Wohnungsbauministerin Kumari Selja bei der Präsentation des Berichts Anfang Februar in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi.

Nach dem neuen Report, an dem 16 prominente Autoren, Wissenschaftler und Vertreter der Zivil-gesellschaft mitwirkten, werden bis 2030 575 Millionen Inder oder 41 Prozent der Bevölkerung in Städten leben. Zwar ist die indische Urbanisierungsrate niedriger als in anderen Ländern in der Re-gion, aber die Zahl Städter steigt schneller, als die Bevölkerung im nationalen Durchschnitt wächst.

Auch leben in Indien noch immer mehr Arme in ländlichen Regionen als in urbanen Zentren, aber die Kluft wird seit einigen Jahrzehnten geringer. Zudem spiegelt sich das Wirtschaftswachstum nicht in einem Rückgang der Armut in den Städten. Die größten Probleme der städtischen Armen sind fehlender Zugang zu angemessenen Unterkünften, sicherem Trinkwasser, Sanitäranlagen, dem Bildungs- und Gesundheitssystem und zu sozialer Absicherung.

Über die Hälfte der Armenviertel ohne Toiletten

Die meisten Slumbewohner – 11,2 Millionen – leben im westindischen Unionsstaat Maharashtra. Es folgen Andhra Pradesh im Südosten mit 5,2 Millionen und Uttar Pradesh mit 4,4 Millionen im Nordosten. Engste und ungesündeste Lebensverhältnisse bestimmen das Dasein in den Slums. Es fehlt an unter anderem Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Toiletten. Wie der Bericht he-rausstellt, gibt es in fast 55 Prozent der Slums keine Sanitäranlagen. Auch sind die meisten der we-nigen existierenden öffentlichen Toiletten nicht zu benutzen, weil sie nicht instand gehalten werden.

Dramatisch ist auch die Lage der Obdachlosen in Indien. Ihre Zahl beläuft sich nach dem Zensus von 2001 auf fast 7,8 Millionen Menschen. Sie leben zu 3,1 Prozent in Neu-Delhi und zu 1,6 und 7,3 Prozent in Bihar im Nordosten und Tamil Nadu im Südosten. In Delhi etwa gibt es für über 100.000 Obdachlose ganze 14 öffentliche Nachtasyle, in denen maximal 2.937 Menschen unter-kommen können. Die Obdachlosen leiden nicht nur unter Vereinsamung – 71 Prozent haben nach eigenen Angaben keine Freunde –, sondern auch unter der gewaltsamen Vertreibung durch die Poli-zei, die sie nachts von ihren Schlafplätzen verjagt.

Landflucht macht arm

Die Autoren des neuen Berichts sind ferner der Frage nach einem Zusammenhang zwischen der innerindischen Migration und der städtischen Armut nachgegangen. Offenbar hat die Migration in Indien seit 2001 nach einem Rückgang in den Jahren 1961 bis 1991 zugenommen. Wichtigstes Mo-tiv für einen Umzug innerhalb des Staates ist die Hoffnung auf höhere Einkünfte. Sie treibt die Menschen aus armen in die wohlhabenden Unionsstaaten.

Im Durchschnitt sind Migranten in Indien weniger arm als Nicht-Migranten. Das aber trifft nicht auf Migranten aus ländlichen Regionen zu, die in Städte abwandern. Menschen, die von einer Stadt in die andere wechseln, profitieren am meisten von ihrer Mobilität. Besonders wenig Neigung zu einem Wohnortwechsel haben in Indien die Angehörigen der mittleren und höheren Einkommens-schichten. - Heike Nasdala (11.02.2009) | (c) Copyright IPS Europa gGmbH

Weiterführender Link: UNDP

WELTBLICK

MENSCHENHANDEL: Auch Frauen involviert – Die meisten Opfer landen in der Sexindustrie

Berlin – Verbrechen werden in der Regel von Männern begangen. Kein Wunder also, dass 90 Prozent aller Gefängnisinsassen männlich sind. Doch anders stellt sich die Situation beim Menschenhandel dar. Statistiken, die das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ausgewertet hat, belegen einen überraschend hohen Anteil von Frauen, die bei dem Ge-schäft kräftig mitmischen.

Wie UNODC in einem neuen Bericht betont, kommt Frauen bei dieser Form der organisierten Kri-minalität sogar eine Schlüsselrolle zu. Die UN-Stelle hatte Angaben über die Geschlechtszugehö-rigkeit gerichtlich verurteilter Menschenhändler in 46 Ländern ausgewertet. Heraus kam, dass etwa in Europa mehr Frauen wegen Menschenhandels als wegen anderer Delikte hinter Gittern sitzen.

Dem Report zufolge endet der Menschenhandel in 79 Prozent aller Fälle in der Prostitution, wobei die Opfer mehrheitlich Frauen und Mädchen sind. Gleichzeitig stellten Frauen in 30 Prozent der Länder, die Informationen über das Geschlecht der Täter vorlegen konnten, die Mehrheit der Men-schenhändler. In Osteuropa und Zentralasien waren 60 Prozent aller verurteilten Menschenhändler Frauen. "In diesen Regionen ist der Frauenhandel durch Frauen die Norm", sagt UNODC-Chef An-tonio Maria Costa. Es sei schockierend, dass ehemalige Opfer in die Täterrolle schlüpften.

UNODC hat sich auf der Grundlage von Informationen aus 155 Ländern mit Gesetzen gegen den Menschenhandel, mit Strafrechtsprozessen und den Opfern und Tätern befasst. Bereitgestellt wur-den die Informationen von Behörden und anderen Institutionen. Die Auswertung ergab, dass die meisten Menschenhändler mehrheitlich in ihren Heimatländern festgenommen wurden, was die Vermutung nahe legt, dass lokale Netzwerke die internationalen Händlerringe mit Männern, Frauen und Kindern beliefern.

Für diese Theorie spricht, dass in vielen Ländern, aus denen die Opfer stammen, die Armut groß ist und Ausländer in der Minderheit sind. Dafür spricht ferner, dass Kriminelle aus den Herkunftslän-dern der Opfer besser in der Lage sind, ihre Zielpersonen zu kontrollieren. Auch sind es häufig Landsleute, die ihre Opfer mit falschen Versprechen in die Länder locken, in denen sie ausgebeutet werden sollen.

Menschenhandel gleich Frauenhandel

Der neue Bericht gibt auch Auskunft über die Zahl der Menschen, die den Menschenhändlern in im Jahr 2006 in die Fänge gingen: UNODC nennt 21.000 Bürger aus 111 Staaten, in denen Opferstatis-tiken vorhanden sind. In 61 Ländern setzten sich die Opfer zu zwei Dritteln aus Frauen und zu 13 Prozent aus Mädchen zusammen. In 52 Staaten wurden die Betroffenen sexuell ausgebeutet.

Wie der neue Bericht belegt, nimmt die Zahl der Personen, die wegen Menschenhandels verurteilt werden, in einigen wenigen Ländern zu. In der Mehrheit der Staaten jedoch kommen die Täter un-geschoren davon. Dort erfolgt statistisch gesehen in 1,5 von 100.000 Fällen eine Verurteilung. "In vielen Strafrechtssystemen wird der Ernst der Verbrechen unterschätzt", warnt Costa. So kam es im Zeitraum 2007/08 in nur zwei von fünf Ländern, mit denen sich das UNODC befasste, zu keiner einzigen Verurteilung.

Die zweithäufigste Ziel des Menschenhandels ist die Zwangsarbeit. Sie hat einen Anteil von min-destens 18 Prozent. Da diese Fälle seltener entdeckt werden, wird eine deutlich höhere Dunkelziffer vermutet. "Wir sehen nur die Schwanzspitze des Monsters", sagt dazu UNODC-Chef Costa. Wie viele Menschen in Sweatshops, in der Landwirtschaft, im Bergbau, in Fabriken oder Privathaushal-ten schuften müssten, sei unbekannt. Allerdings könne davon ausgegangen werden, dass in Zeiten wirtschaftlicher Krisen mit einem weiteren Anstieg der Opferzahlen zu rechnen sei.

Junges Protokoll mit großer Wirkung

Als hoffnungsvoll vermeldet das UNODC, dass das UN-Protokoll gegen den Menschenhandel – das wichtigste internationale Abkommen in diesem Bereich – erst seit Dezember 2003 in Kraft ist, sich die Zahl der Vertragsstaaten aber, die das Protokoll umsetzen, in den vergangenen Jahren von 54 auf 125 mehr als verdoppelt hat. Dennoch gibt es vor allem in Afrika eine Vielzahl von Staaten, denen die rechtlichen Instrumente oder der politische Willen fehle.

Dem neuen Bericht zufolge sind 20 Prozent aller Opfer des Menschenhandels Kinder. Der Prozent-satz variiert von Region zu Region. In Afrika und der Mekong-Region nimmt er dramatisch zu. In Westafrika könnten er sogar bei bis zu 100 Prozent liegen. Die Heranwachsenden werde für alle möglichen Arbeiten missbraucht: als billige Arbeitskräfte, Prostituierte, Bettler und Soldaten. Dazu sagt Costa: "Es gibt Jungen, die das Töten vor dem Lesen lernen, und Mädchen, die sexuell ver-sklavt werden, ehe sie Frauen sind."

Angesichts der unterschiedlichen Formen und Hintergründe des Menschenhandels sei es wichtig, den Kampf gegen die moderne Sklaverei den Umständen anzupassen, so Costa. So bestehe ein Un-terschied zwischen Eltern, die ihre Kinder aus Not verkauften, und Kriegsherren, die Mädchen und Jungen zwangsrekrutierten. Auch müssten die Gründe erforscht werden, auch denen Frauen andere Frauen zwangsprostituierten. Solange die vielen bestehenden Wissenslücken nicht geschlossen seien, könne der Kampf gegen den Menschenhandel nicht gewonnen werden. - Karina Böckmann (12.02.2009) | (c) Copyright IPS Europa gGmbH

Weiterführender Link: http://www.unodc.org/unodc/index.html

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Hochkonjunktur für Iraks Totengräber

Bagdad – Wer im Irak auf einem Friedhof arbeitet, braucht sich in dem konflikt-reichen Land keine Sorgen zu machen, dass ihm trotz hoher Arbeitslosigkeit der Job ausgehen könnte. Wärter und Totengräber haben alle Hände voll zu tun, um die Bürgerkriegsopfer unter die Erde zu bringen und ihre Identität festzuhalten.

Da die Behörden mit der Erfassung der Todesfälle überfordert sind, bemühen sich Totengräber wie Ali die Namen der Opfer aufzuschreiben, die es zu bestatten gilt. Ali arbeitet auf Bagdads größtem Friedhof im Viertel Abu Ghraib. "Eineinhalb Jahre lang, von 2006 bis weit in das Jahr 2007 hinein, wurden uns täglich 40 bis 50 Tote gebracht", berichtet er.

Nur wenige dieser Menschen seien erkennbar eines natürlichen Todes gestorben. "Rund zwei Drittel fielen durch die Hand der schiitischen Mehdi-Armee des Predigers Muqtada Al-Sadr. Bei weiteren 25 Prozent handelte es sich um sonstige Opfer von Gewalt", sagt Ali. "Niemand hat damals die Identität der Toten festgestellt. Auch wir fragten nicht nach dem Totenschein, sondern bemühten uns, die Leichen möglichst schnell zu beerdigen",

Militärposten vor dem Friedhof

Seit einem Jahr wird der Zugang zum größten Begräbnisplatz der irakischen Hauptstadt, der ständig erweitert wird, von einem Kontrollposten der irakischen Armee bewacht. "Vor allem 2006 kamen die Leute einfach hierher und begruben ihre Toten. Niemand wusste Bescheid", so der Totengräber.

Nicht weit entfernt, im Stadtbezirk Al-Adhamiya, gibt es in einem ehemaligen Park einen Friedhof mit mehr als 5.000 Gräbern. Nach Angaben des Friedhofsverwalters Abu Ayad Masir Walid ist die genaue Zahl der Toten, die hier bestattet wurden, unbekannt. Der 45-Jährige arbeitet seit Anfang 2006 hier, als sich Anhänger verschiedener islamischer Gruppen blutige Kämpfe lieferten und den Park in einen Totenacker verwandelten.

"Der erste Märtyrer, der hier begraben wurde, war Gaith Al-Samarai, der Vorsitzende der Al-Hurria-Moschee", berichtet Walid und weist auf einen Grabstein. "Bis zum heutigen Tag wurden auf dem Gelände genau 5.500 Tote begraben", sagt er und blättert in einem Notizblock. "Hier habe ich sämtliche Namen notiert, doch bislang haben sich weder die Vertreter der Medien noch Regie-rungsbeamten nach der Zahl der hier bestatteten Toten erkundigt. Nicht einmal das Gesundheitsmi-nisterium scheint sich dafür zu interessieren."

Angesichts des offiziellen Desinteresses an den Friedhöfen im Land sind Angaben über die Zahl der Todesopfer, die der Irakkrieg gefordert hat, fragwürdig. Die letzte seriöse Untersuchung stammt von irakischen und US-amerikanischen Ärzten und wurde in der britischen Fachzeitschrift 'The Lancet' am 11. Oktober 2006 veröffentlicht. >

Hoher Blutzoll des Krieges

Im Auftrag der 'Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health' im US-amerikanischen Balti-more hatten sich die Mediziner in 47 Gruppen aufgeteilt und landesweit Familien befragt und To-tenscheine inspiziert. Ihren Ermittlungen zufolge, die von vier unabhängigen Experten bestätigt wurden, hatten Invasion und Besetzung des Iraks rund 655.000 Iraker oder 2,5 Prozent der Bevölkerung das Leben gekostet.

Die Organisation 'Iraq Body Count' (IBC) hält die Zahl der zivilen Kriegsopfer im gleichen Zeit-raum für wesentlich niedriger und spricht von 98.850 Toten. IBC ist dabei, auf einer unabhängigen Datenbank alle Zivilisten erfassen, die durch Militäreinsätze der US-Armee und deren Verbündeten zu Tode kamen. Dabei werden Angaben von kommerziellen Medien und Nichtregierungsorganisa-tionen ebenso berücksichtigt wie Daten von amtlichen Stellen, Hospitälern und Leichenschauhäu-sern.

Unterdessen setzen die Männer, die auf den nicht offiziellen Friedhöfen im Land die Toten begra-ben, ihre eigene Buchführung des Todes fort. Ihre Zahlen kennt bislang niemand. - Beriacht von Dahr Jamail | Deutsche Bearbeitung: Grit Moskau-Porsch (09.02.2009) | (c) Copyright IPS Europa gGmbH