15. Februar 2009

MENSCHENHANDEL: Auch Frauen involviert – Die meisten Opfer landen in der Sexindustrie

Berlin – Verbrechen werden in der Regel von Männern begangen. Kein Wunder also, dass 90 Prozent aller Gefängnisinsassen männlich sind. Doch anders stellt sich die Situation beim Menschenhandel dar. Statistiken, die das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) ausgewertet hat, belegen einen überraschend hohen Anteil von Frauen, die bei dem Ge-schäft kräftig mitmischen.

Wie UNODC in einem neuen Bericht betont, kommt Frauen bei dieser Form der organisierten Kri-minalität sogar eine Schlüsselrolle zu. Die UN-Stelle hatte Angaben über die Geschlechtszugehö-rigkeit gerichtlich verurteilter Menschenhändler in 46 Ländern ausgewertet. Heraus kam, dass etwa in Europa mehr Frauen wegen Menschenhandels als wegen anderer Delikte hinter Gittern sitzen.

Dem Report zufolge endet der Menschenhandel in 79 Prozent aller Fälle in der Prostitution, wobei die Opfer mehrheitlich Frauen und Mädchen sind. Gleichzeitig stellten Frauen in 30 Prozent der Länder, die Informationen über das Geschlecht der Täter vorlegen konnten, die Mehrheit der Men-schenhändler. In Osteuropa und Zentralasien waren 60 Prozent aller verurteilten Menschenhändler Frauen. "In diesen Regionen ist der Frauenhandel durch Frauen die Norm", sagt UNODC-Chef An-tonio Maria Costa. Es sei schockierend, dass ehemalige Opfer in die Täterrolle schlüpften.

UNODC hat sich auf der Grundlage von Informationen aus 155 Ländern mit Gesetzen gegen den Menschenhandel, mit Strafrechtsprozessen und den Opfern und Tätern befasst. Bereitgestellt wur-den die Informationen von Behörden und anderen Institutionen. Die Auswertung ergab, dass die meisten Menschenhändler mehrheitlich in ihren Heimatländern festgenommen wurden, was die Vermutung nahe legt, dass lokale Netzwerke die internationalen Händlerringe mit Männern, Frauen und Kindern beliefern.

Für diese Theorie spricht, dass in vielen Ländern, aus denen die Opfer stammen, die Armut groß ist und Ausländer in der Minderheit sind. Dafür spricht ferner, dass Kriminelle aus den Herkunftslän-dern der Opfer besser in der Lage sind, ihre Zielpersonen zu kontrollieren. Auch sind es häufig Landsleute, die ihre Opfer mit falschen Versprechen in die Länder locken, in denen sie ausgebeutet werden sollen.

Menschenhandel gleich Frauenhandel

Der neue Bericht gibt auch Auskunft über die Zahl der Menschen, die den Menschenhändlern in im Jahr 2006 in die Fänge gingen: UNODC nennt 21.000 Bürger aus 111 Staaten, in denen Opferstatis-tiken vorhanden sind. In 61 Ländern setzten sich die Opfer zu zwei Dritteln aus Frauen und zu 13 Prozent aus Mädchen zusammen. In 52 Staaten wurden die Betroffenen sexuell ausgebeutet.

Wie der neue Bericht belegt, nimmt die Zahl der Personen, die wegen Menschenhandels verurteilt werden, in einigen wenigen Ländern zu. In der Mehrheit der Staaten jedoch kommen die Täter un-geschoren davon. Dort erfolgt statistisch gesehen in 1,5 von 100.000 Fällen eine Verurteilung. "In vielen Strafrechtssystemen wird der Ernst der Verbrechen unterschätzt", warnt Costa. So kam es im Zeitraum 2007/08 in nur zwei von fünf Ländern, mit denen sich das UNODC befasste, zu keiner einzigen Verurteilung.

Die zweithäufigste Ziel des Menschenhandels ist die Zwangsarbeit. Sie hat einen Anteil von min-destens 18 Prozent. Da diese Fälle seltener entdeckt werden, wird eine deutlich höhere Dunkelziffer vermutet. "Wir sehen nur die Schwanzspitze des Monsters", sagt dazu UNODC-Chef Costa. Wie viele Menschen in Sweatshops, in der Landwirtschaft, im Bergbau, in Fabriken oder Privathaushal-ten schuften müssten, sei unbekannt. Allerdings könne davon ausgegangen werden, dass in Zeiten wirtschaftlicher Krisen mit einem weiteren Anstieg der Opferzahlen zu rechnen sei.

Junges Protokoll mit großer Wirkung

Als hoffnungsvoll vermeldet das UNODC, dass das UN-Protokoll gegen den Menschenhandel – das wichtigste internationale Abkommen in diesem Bereich – erst seit Dezember 2003 in Kraft ist, sich die Zahl der Vertragsstaaten aber, die das Protokoll umsetzen, in den vergangenen Jahren von 54 auf 125 mehr als verdoppelt hat. Dennoch gibt es vor allem in Afrika eine Vielzahl von Staaten, denen die rechtlichen Instrumente oder der politische Willen fehle.

Dem neuen Bericht zufolge sind 20 Prozent aller Opfer des Menschenhandels Kinder. Der Prozent-satz variiert von Region zu Region. In Afrika und der Mekong-Region nimmt er dramatisch zu. In Westafrika könnten er sogar bei bis zu 100 Prozent liegen. Die Heranwachsenden werde für alle möglichen Arbeiten missbraucht: als billige Arbeitskräfte, Prostituierte, Bettler und Soldaten. Dazu sagt Costa: "Es gibt Jungen, die das Töten vor dem Lesen lernen, und Mädchen, die sexuell ver-sklavt werden, ehe sie Frauen sind."

Angesichts der unterschiedlichen Formen und Hintergründe des Menschenhandels sei es wichtig, den Kampf gegen die moderne Sklaverei den Umständen anzupassen, so Costa. So bestehe ein Un-terschied zwischen Eltern, die ihre Kinder aus Not verkauften, und Kriegsherren, die Mädchen und Jungen zwangsrekrutierten. Auch müssten die Gründe erforscht werden, auch denen Frauen andere Frauen zwangsprostituierten. Solange die vielen bestehenden Wissenslücken nicht geschlossen seien, könne der Kampf gegen den Menschenhandel nicht gewonnen werden. - Karina Böckmann (12.02.2009) | (c) Copyright IPS Europa gGmbH

Weiterführender Link: http://www.unodc.org/unodc/index.html

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